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Halvers Kapitalmarkt-Monitor: Wie lang sind die Beine der (geo-)politischen Börse?

R. Halver I Baader Markets - Indizes - 28.07.2014

Im für die weltwirtschaftliche Nachfrage immens wichtigen Schwellenland China zeigt der von der HSBC veröffentlichte Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe eine deutliche Verbesserung von 50,7 auf aktuell 52.

In Euroland stabilisiert sich der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe im Juli insgesamt leicht auf 51,9 nach 51,8 im Vormonat. Während der französische Teilindex eine neuerliche Eintrübung ertragen muss, zeigt der deutsche Subindex eine Stimmungsaufhellung auf 52,9 von zuvor 52.

Grundsätzliche Stimulanz erfährt die deutsche Exportwirtschaft auch aus der allmählichen Abwertung des Euros. Am Terminmarkt deutet der massive Rückgang der Netto Long-Positionen auf eine weitere Abschwächung des Euros gegenüber dem US-Dollar hin.

Seit April 2014 verliert der Euro insbesondere gegenüber seinen größten Exportkonkurrenzwährungen. Das Außenhandels-Handicap „Starker Euro“ verliert an Bedeutung. Lediglich gegenüber der Schwedenkrone hält die Aufwertung an.

Geopolitischer Gegenwind für die deutsche Wirtschaft

Die für die Beurteilung des deutschen Verarbeitenden Gewerbes treffsicheren ifo Geschäftsdaten zeigen dagegen ein etwas differenzierteres Konjunkturbild. Befürchtete wirtschaftliche Kollateralschäden aus dem geopolitischen Konflikt des Westens gegen Russland sorgen für die dritte Eintrübung der ifo Geschäftserwartungen in Folge auf jetzt 103,4.

Diese moderateren Geschäftsperspektiven finden ihren Niederschlag in einer relativen Underperformance konjunktursensitiver zu defensiven Aktien in Europa.

Dieses Bild wird bei Analyse der Über-/Unter-Performance der europäischen Branchen zum europäischen Gesamtindex bestätigt, wie sich im Anhang dieses Produktes unter der Rubrik „Kapitalmarkt auf einen Blick“ in der vierten Tabelle ablesen lässt. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass eine aktuell weniger konjunkturfreundliche Aktienstimmung sich auch in einer schwächeren Wertentwicklung von typischerweise konjunkturreagiblen deutschen zu beispielsweise defensiveren italienischen Aktien bemerkbar macht.

Risiko Russland

Der weitere Fortgang des Börsengeschehens - zumindest im Kapitalmarkt-Sommer - wird sich auch an der geopolitischen Front entscheiden. Während sich die Unruhen in Nahost auf die Aktienmärkte bislang kaum ausgewirkt haben, sind die Entwicklungen in der Ukraine-Krise gravierender. Ein Ende des Konflikts ist überhaupt nicht absehbar, noch nicht einmal ein Weg der Konfliktlösung. In der EU weiß man um die wirtschaftsschädliche Wirkung einer Sanktions-Spirale mit Russland, die insbesondere Deutschland export- und energieseitig schwer träfe. Für 2014 rechnet die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) bereits mit einem Einbruch deutscher Exporte nach Russland um rund 10 Prozent.

Laut Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) betragen die Forderungen von EU-Banken gegenüber russischen Schuldnern rund 190 Mrd. US-Dollar. Bei sanktionsbedingten Verschärfungen der russischen Wirtschaftsprobleme könnten diese zügig uneinbringlich werden und erneut Unruhe in den bislang geldpolitisch beruhigten EU-Bankensektor bringen.

Die USA und die Schwellenländer stellen den deutschen Handel mit Russland sicherlich weit in den Schatten. Selbst nach Österreich, der Schweiz oder Polen exportiert Deutschland mehr.

Aber die Ansteckungseffekte, und wenn sie sich auch nur im Kopfkino der Investoren abspielen, sind einzukalkulieren. Gerade der deutsche Mittelstand, der sich stark in Russland engagiert, könnte bei dort entstehenden Verlusten oder auch nur aus der Angst vor der Angst, dass die geopolitische Krise weiter eskaliert, insgesamt zurückhaltender werden und selbst in Deutschland - auch aus Sorge vor einer eingeschränkten Gasversorgung - weniger investieren. Die berühmten Multiplikatoreffekte von John Maynard Keynes, die ebenso die Psychologie der Wirtschaftsakteure berücksichtigen, kämen hier ins Spiel. Auch vermeintlich kleinere Krisen können schnell unheilvoll streuen, insbesondere dann, wenn kein Krisenende in Sicht ist: „Wer weiß, was noch kommt“. Die Kollateralschäden der Lehman-Pleite sind hierfür ein markantes Beispiel.

Die gegenseitigen Vorwürfe oder gar die selten dämliche Forderung, bereits jetzt, vier Jahre vor Termin, die Fußball-WM in Russland 2018 zu boykottieren, bringen im Endeffekt außer einer noch größeren russischen Solidarität zu Putin, außer, dass noch mehr Öl ins Konflikt-Feuer gegossen wird und außer, dass es zu weiteren, politischen und schmerzhaften Wirtschaftssanktionen kommt, nichts Gutes.

Wohl und Wehe der zukünftigen Kapitalmarktentwicklung liegen damit insbesondere in den Händen der Politiker beider Seiten. Europa, der Kontinent der Konflikte und Krisen, sollte doch irgendetwas aus der Vergangenheit gelernt haben. Eine besondere Rolle kommt hier der deutschen Außenpolitik zu. Ihre besonderen Kontakte zu Russland sollte sie dringend und zügig für diplomatische Krisenlösungen einsetzen, wohlwissend, dass je länger ein Schwelbrand existiert, umso größer die Gefahr wird, dass es zum politischen und wirtschaftlichen Großbrand kommt. Das mag uns dann zwar wieder den Vorwurf eines deutschen Sonderwegs einbringen. Aber hinter so mancher Russland-Schelte anderer Länder darf man zu Recht auch andere eigennützige geostrategische Hintergründe vermuten.

US-Berichtsaison mit klarem Abbild am US-Aktienmarkt

Die US-Berichtsaison für das II. Quartal 2014 sorgt für gemischte Impulse am US-Aktienmarkt. Während die Bilanzzahlen von Konsumtiteln wie Coca-Cola und McDonald’s unter einem gesundheitsbewussteren Ernährungsverhalten der Amerikaner leiden, profitieren Technologiewerte wie Apple oder Microsoft von ihrem starken Marketing, ihrer Innovationskraft und einer starken Nachfrage in den Schwellenländern. Während der größte US-Autohersteller General Motors wegen einer umfangreichen Rückrufaktion eine Gewinndelle verbuchen musste, profitiert Konkurrent Ford uneingeschränkt von einer Umsatzsteigerung in China und einem erstmals seit drei Jahren wieder profitablen Geschäft in Europa. Auch dank umfangreicher Neumodelle stellen beide Unternehmen damit die Weichen für eine starke Entwicklung in 2015 und 2016.

Ein Spiegelbild der Berichtsaison zeigt sich in der Kursentwicklung der US-Branchen gegenüber dem Gesamtmarkt. Während Technologiewerte weit vorn liegen, weisen Banken, Konsum- und auch Industrietitel eine klare Underperformance gegenüber dem gesamten US-Aktienmarkt auf.

Insgesamt zeigt sich der US-Aktienmarkt in einer stabilen Verfassung. Denn die Kursentwicklung von US-Branchen steht grundsätzlich in gesundem Verhältnis zu ihrer Gewinnentwicklung, so dass fundamental keine Gefahr für signifikante Korrekturen bei US-Aktien zu befürchten ist. Allerdings ist bei den Autotiteln von einer Überbewertung auszugehen, die diese Branche anfällig für Korrekturen macht.

Aktuelle Marktlage

Die Stimmung an den globalen Finanzmärkten bewegt sich im Spannungsverhältnis zwischen einer sich stabilisierenden Weltwirtschaft und dem die Anlegerpsychologie hemmenden geopolitischen Risiko. Letzteres dürfte über den Sommer sehr marktbeeinflussend sein. Ab September kommt es dann zum geopolitischen Schwur: Hat dann die Diplomatie oder die politische Eskalation gesiegt? Für die Einschätzung, dass es zu keinem massiven Wirtschaftskrieg zwischen der EU und Russland mit konjunkturellen Bremsspuren für die euroländische und speziell deutsche Wirtschaft kommt, bestehen berechtigte diplomatische Hoffnungen. Sich dann wieder stabilisierende Gewinnerwartungen, getragen von der voranschreitenden Konjunkturerholung in den USA sowie in den Emerging Markets und eine offensive euroländische Schulden- und Geldpolitik kommen insbesondere deutschen Aktien zugute.

Anlegerstimmung und Charttechnik

Zuletzt hat sich im Trend die Schwankungsintensität im DAX - gemessen am VDAX-NEW-Index - nach einer langen Phase der Abschwächung wieder erhöht. Gemessen am aktuellen Volatilitätsniveau wäre für die nächsten 30 Tage mit einer Schwankungsbreite im DAX zwischen etwa 9.400 und 10.200 zu rechnen.

Aus charttechnischer Sicht warten auf dem Weg nach oben im DAX die nächsten Widerstände bei 9.746 und darüber am Zwischenhoch bei 9.871 Punkten. Die nächste Hürde liegt am vor zwei Wochen durchbrochenen Aufwärtstrend bei derzeit 9.961 Punkten.

Unterstützung findet der DAX dagegen am langfristigen Aufwärtstrend bei derzeit 9.615 und darunter bei 9.600 Punkten. Sollte der DAX beide Hürden unterschreiten, liegen die nächsten Unterstützungen bei 9.461 und darunter im Bereich um 9.400 Punkte. Hier kommen also Volatilitätsanalyse und Charttechnik zum gleichen Ergebnis.

Und was passiert in der nächsten Woche?

Auf Unternehmensebene nimmt die deutsche Berichtsaison für das II. Quartal Fahrt auf. Solide Geschäfte im Anlagenbau halten den Ausblick von Linde auf Kurs, negative Währungseffekte bleiben aber ein Belastungsfaktor. Die Deutsche Bank dürfte aufgrund ihrer unzähligen rechtlichen Altlasten einen verhaltenen Ausblick geben. Infineon profitiert von einer soliden Nachfrage nach Steuerchips für Autos. Bayer erhält u.a. Rückenwind von einem stabilen Geschäft im Bereich Gesundheit. HeidelbergCement dürfte von der fortschreitenden Erholung der US-Wirtschaft profitieren. Die Bilanzzahlen von Siemens halten keine negativen Überraschungen bereit, der Jahresausblick bleibt bestehen. Die Erholung auf Europas Automobil- und Reifenmärkten verschaffen Volkswagen und dem Automobilzulieferer Continental Rückenwind. Der Deutschen Lufthansa kommen Fortschritte in ihrem Sparprogramm zugute. Die Anleger dürften insbesondere auf die Ausblicke der konjunkturzyklischen Unternehmen achten, in wie weit sie die geopolitische Krise berücksichtigen.

Auf Makroebene verdeutlicht die robuste erste Schätzung der US-Wirtschaftsleistung für das II. Quartal, dass die jahresanfängliche Konjunkturdelle gemeistert ist. Dies unterstreichen auch der komfortabel in expansivem Terrain liegende ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe sowie erneut starke US-Arbeitsmarktzahlen. Aufmerksam dürften Anleger die anstehende Zinssitzung der US-Notenbank verfolgen. Fed-Chefin Yellen wird sie in punkto Besänftigung der Zinserhöhungsängste nicht enttäuschen.

In Euroland zeigt sich die Inflationsrate weiter schwach und liefert der EZB damit weitere Munition für geldpolitische Lockerungen.

Der Autor dieses Artikels ist Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. - www.bondboard.de

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