Wissen I Grundlagen Trading

weitere Artikel Wissen

Anzeigen

Vier Wege zum Versagen

Grundlagen Trading

[Traders' Mag - William Akermann] - Es liegt ein Notfall vor, ist ein Doktor im Haus? „Ja“, wird gerufen, und eine beruhigende Gestalt erscheint und erteilt fachkundigen Rat in diesem krisenhaften Augenblick. Wir sind sofort beruhigt und entspannt, weil wir wissen, dass der Arzt fünf Jahre an der Universität studiert und weitere fünf Jahre direkt unter den Augen eines Facharztes sklavisch gearbeitet hat.

Jetzt stellen Sie sich ein anderes Szenario vor. Unser nächster Notfall ist kein medizinisches Trauma, sondern ein finanzielles Fiasko, dass unserer Aufmerksamkeit bedarf. „Gibt es einen Trader im Haus?“ jammern wir. Und mit etwas Glück tritt ein möglicher Retter auf. Aber anders als bei jedem anderen Beruf auf der Welt braucht ein „Trader“ keine förmliche Ausbildung. Denken Sie darüber nach. Ein Steuerberater hat eine fünfjährige Ausbildung, ein Anwalt wahrscheinlich sieben Jahre und eine Krankenschwester vielleicht drei Jahre. Annähernd 83 Prozent der unabhängigen Vollzeit-Trader haben überhaupt keine
zusammenhängende einschlägige Ausbildung. Stattdessen haben sie
sich auf das Lesen von Büchern, Übungen mit Trainings-Chartsoftware und Tipps verlassen. In unserem angenommenen Notfallszenario also, wie beruhigt würden Sie sich beim Auftreten eines Traders fühlen?

Nachdem man in zehn Minuten ein Online-Antragsformular ausgefüllt hat, kann sich jedermann Trader nennen, und das erklärt vielleicht, warum so viele Trader keinen Erfolg bei dem Versuch haben, sich langfristig ein Stück vom Markt abzuschneiden und davon zu leben.

Und doch glauben so viele, dass sie bereits die Fähigkeiten besitzen, um eine Strategie zu erarbeiten und ihre angeborenen psychologischen Grenzen zu überwinden, die sich in Jahrzehnten verfestigt haben.
Aus diesem Grund verlieren 78 Prozent der unabhängigen Trader Geld. Nachdem ich Dutzenden von angehenden Tradern selber Einzelunterricht erteilt habe, ist es aufschlussreich, dass ich immer wieder die exakt gleichen Gründe für die Verluste von Tradern vorfinde.

Jeder Trader hat eine Trading Strategie. Eine Strategie steht im
Mittelpunkt jeden bewussten Denkens des Traders am Markt, gleich ob sie im Laufe von Monaten oder Jahren entstanden ist. Und jedes Buch und jeder aktive Trader wird zustimmen, dass man natürlich außer einer getesteten und bewährten Strategie auch eiserne Disziplin braucht, um den Plan sorgfältig umzusetzen. Aber es sind nicht ein fehlender Plan oder Mangel an Disziplin, warum die meisten Trader Geld verlieren. Das Scheitern der meisten Trader leitet sich aus einer
Fehlsteuerung ihrer Selbstanalyse ab. Der Fehler, sich ihre Verlust-Trades nicht ausreichend anzusehen. Einer der erfolgreichsten Futures-Daytrader auf dem Parkett, Simon Brown, soll gesagt haben: „Ein Verlust kann einen Trader mehr über die Märkte und sich selbst lehren, als ein Gewinn es jemals könnte“.
Warum setzen Trader also so wenig Zeit, Energie und Konzentration für die komplette Analyse vergangener Trades ein?

Die Antwort ist, dass wenige Trader die Fähigkeit besitzen, ehrlich mit sich selbst zu sein. Schließlich gehört es zur menschlichen Natur, sich der guten Dinge zu erinnern und die schlechten zu vergessen.
Aber in Trading-Verlusten finden Trader häufig den Schlüssel für den Weg zu höherer Profitabilität.

Verluste sind einfach Daten-Output, ein notwendiger Bestandteil einer erfolgreichen Trading-Strategie und in der Tat von vitaler Bedeutung für die Festlegung der strategischen Ausrichtung.
Aber immer und immer wieder bringen sonst nachhaltig profitable Trader keinen Gewinn zustande, weil sie es versäumen, ihre Verluste zu analysieren.
Sie tappen zu wiederholten Malen in dieselben vier Fallen.

1. Ehrlichkeit ist keine Illusion

Fangen wir mit einer normalen Frage an. Ein wie guter Fahrer sind Sie im Vergleich zu anderen auf der Straße? Sind Sie ein durchschnittlicher, unter- oder überdurchschnittlicher Fahrer? Statistisch müssten wir die Bevölkerung in drei Gruppen aufteilen können. Aber fast alle Leute, egal ob Student oder Berufstätiger, jung oder alt, nehmen „überdurchschnittlich“ für sich in Anspruch, wenn ihnen diese Frage gestellt wird.

Und fragen Sie einen Trader nach seinem Gewinn- zu Verlustverhältnis, ist die Antwort voraussichtlich eine Ausschmückung der Wahrheit. Wenn aber ein Trader nicht ehrlich zu sich selbst sein kann, kann er nicht erwarten, seine Trading-Strategie zu verbessern. Es ist eine Tatsache, dass die meisten Trader zu zuversichtlich sind.

Psychologen sagen, dass übermäßiges Selbstvertrauen die Menschen dazu verleitet, ihre Kenntnisse zu überschätzen, Risiken zu unterschätzen
und ihre Fähigkeit, die Dinge unter Kontrolle zu haben, zu übertreiben. Aber warum sind ziemlich unerfahrene Trader so überzeugt von ihrer zukünftigen Profitabilität beim Traden? Viele gehen davon aus, dass die Genauigkeit ihrer Trading-Prognosen mit zunehmenden Zugang zu Informationen besser wird. Das ist zum Teil wahr,
gilt aber bei weitem nicht für alle angehenden Trader. Schon immer gingen Markttechnik-Lehrlinge der Vorstellung in die Falle, jedes verfügbare Stück Information verdauen zu müssen. Typisch, dass sie jedes Buch über Technische Analyse lasen, das sie fanden. Und das schafft die Illusion von Wissen. Tatsächlich gibt es aber drei Gründe, die gegen diese Annahme sprechen.

1. Eine Menge Information ist irrelevant oder irreführend
2. Die Interpretation von Information erfordert Geschick und Erfahrung
3. Trader nehmen neue Informationen äufig als Bestätigung ihrer bestehenden Meinung

Es ist absolut unerlässlich, dass wir als Trader völlig ehrlich zu uns sind. Wenn wir Unrecht haben, müssen wir das zugeben und unsere Position schnell schließen. Wenn wir keine Experten sind, müssen wir vorsichtig traden, bis wir uns richtig ausgebildet oder die nötige Erfahrung gesammelt haben. Selbstanalyse und Trade-Analyse machen
nur Sinn, wenn sie mit klarem Kopf und aus ehrlicher Perspektive unternommen
werden.

2. Ich langweile mich, ich will mal traden

Fast jeder Trader hat einen höheren Anteil an Gewinn- als an Verlust- Trades. Das Problem ist, dass die Verlierer die Menschen daran hindern,
den entscheidenden nächsten Schritt zu tun: vom einfachen Trader hin zum wirklich erfolgreichen Trader. Bei objektiver Betrachtung gehen die meisten Trader in die Falle des Traden aus Langeweile.
Seien wir ehrlich: ein Daytrader hat den großen Sprung gemacht und sich darauf eingelassen, seinen Lebensunterhalt durch Traden zu verdienen. Traden ist die Hauptsache. Wenn ihre Strategie nun endlose Stunden lang keine definitiven Trades produziert, setzt Frust ein.
Die Märkte sind reichlich verlockend, verführen zu einem Blick und einer Position bei jeder Kursbewegung. In einem solchen Moment ist der Trader gefährdet, einen Trade aus Langeweile zu machen. Kürzlich habe ich einen Trader unterrichtet, der im Tageshandel die Gewinnschwelle erreichte. Aber nachdem wir all die Langeweile-Trades aussortiert hatten, war der Rest eindrucksvoll profitabel. Einfach, aber wie immer leichter gesagt als getan.

3. Bindung an Trades

Trader müssen beim Handel absolut objektiv sein. Viele geraten in
die Falle, zu sich selbst zu sagen: „Zu diesem Kurs bin ich in den Trade gegangen, also ist das der Bezugskurs für den laufenden Kurs und meine nächste Entscheidung.“ Falsch! Nachfolgende Analyse muss unabhängig vom Einstiegskurs bleiben. Die wirkliche Frage lautet:
„Sollte ich an dieser Stelle long oder short sein, genau jetzt, zum momentanen
Kurs?“. Ein Trader muss den Trade bei jedem Kursintervall ohne emotionale Bindung neu bewerten.

4. Der letzte Trade zum Ãœberleben

Es ist wichtig, dass vorangegangener Trading-Erfolg oder -Misserfolg den nachfolgenden Trade nicht beeinflusst. Man sieht das immer wieder, auch bei Wettern, die auf Pferde setzen. Ein bekanntes Szenario sieht so aus: nach einem Tag, an dem sie auf Verlierer gesetzt und Geld verloren haben, fangen Wetter an, auf Pferde mit guten Chancen
zu setzen, weil sie vergeblich hoffen, ihre Verluste wieder hereinzuholen. So unlogisch, wie es sein mag, es passiert auch beim Traden.
„Der letzte Trade zum Überleben“ ist ein klassischer Irrtum, auf den man aber leicht reinfallen kann. Ähnlich ist es, wenn manche Trader von einem Verlust so sehr genervt sind, dass jede bisher eingesetzte Handelsmethodik ignoriert wird, und sie unorganisiert und unlogisch weiterhandeln. Dieser panikgetriebene Mangel an Disziplin paralysiert den Trader völlig, was zu einer Spirale irrationaler Handelsentscheidungen führen kann. Meist leiden die Stopp-Loss-Kriterien
zuerst, die Stopps werden zu früh ausgelöst und erlauben keine Slippage
auf dem Einstiegs-Niveau. Die finanziellen Verluste werden von der Vernichtung des Selbstvertrauens begleitet, was zu kleineren Trade-Größen und einer abwärts gerichteten Gewinnspirale führt.

Ein weiteres Beispiel: wir haben uns gerade kennen gelernt, und ich bitte Sie, für eine Wette eine Münze zu werfen. Bei Kopf zahle ich Ihnen £100, bei Zahl bekomme ich £100 von Ihnen. Würden Sie die Wette eingehen? Wahrscheinlich nicht. (Wenigstens hoffe ich das!)
Nun stellen Sie sich vor, dass ich Ihnen beim Eintreten £200 als
Willkommensgeschenk gebe und Sie etwas später frage, ob Sie die 50/50-Münzwette machen wollen. Wie würden Sie dieses Mal antworten?
Ich vermute mal, dass Sie ja sagen. Es ist eine Tatsache, dass man nach einem großen Gewinn allzu leicht empfindet, als spielte man mit dem ‚Haus’geld. Ein vorangegangener Handelserfolg kann zu Arroganz führen und einen immer größer werdenden Risikoappetit anregen.
In den schlimmsten Fällen, die ich gesehen habe, treffen Trader zwanghafte Entscheidungen und verfallen einem ‚rot oder schwarz’ Roulette-Stil. Egal wie unser vorheriger Trade ausgegangen ist, es ist äußerst wichtig, dass Trader jeden Trade aufgrund seiner eigenen
Meriten machen, ohne dass emotionales Gepäck die Urteilskraft trübt.

Es gibt viele Wege, Geld schnell zu verlieren, aber die genannten sind die vier Möglichkeiten dafür, die ich bei Tradern, die ich unterrichte, am häufigsten finde. Es ist sofort offensichtlich, dass die Mehrzahl
in den Bereich der Trader-Psyche fallen. Selbstanalyse und Trading-Psychologie spielen eine weit größere Rolle als viele glauben, aber wenn man sie einmal gemeistert hat, sind sie jede Mühe wert.

Alle Trader haben ihren eigenen psychologischen Balancepunkt, an dem sie am effektivsten handeln können. Man nennt das häufig die „Zone“ des Traders. Es ist von großer Bedeutung, dass jeder Trader seine eigene Zone definiert, in der er seine Strategie am besten ausführen kann.

Kürzlich traf ich Greg Raymar. Er ist ein großer Gewinner beim Pokern in Las Vegas und spielt nach strengen emotionsfreien Regeln. Kurz, er hat seine psychologische Herangehensweise
definiert und seine Komfortzone im Poker gefunden. Seine Regeln sind denen, die ein Trader meistern muss, bemerkenswert ähnlich.

Es ist unglaublich offensichtlich, dass Gregs Regeln auch für Trader gelten. Seine zweite Regel kann sich auch auf eine Fehde gegen einen vorangegangenen Verlust-Trade oder eine bestimmte Aktie oder Währungs-Trade beziehen. Und obwohl er nicht zu meinen Top vier
gehört, ist Gregs Punkt über das langsame Ersteigen der Leiter ein
Äquivalent zu den vielen Tradern, die ihre Positionsgrößen zu schnell erhöhen und dann unter den Konsequenzen leiden.

Zusammenfassung

Für einen angehenden Trader ist die Einstiegsschwelle wahrscheinlich
die niedrigste aller Berufe. Bei Erfolg erlaubt Traden für den Lebensunterhalt
einen beneidenswerten Lebensstil. Man kann überall traden, ohne Chef, der bestimmt, wann und wie wir arbeiten sollen.
Und wir haben alle Macht. Wir sind in der Lage, unser eigenes Schicksal zu bestimmen, Erfolg oder Versagen. Aber zu viele, die in den Markt gehen, wollen das tun und glauben einfach, keine Zeit in das Erlernen der notwendigen Fähigkeiten und Disziplin für das Traden investieren zu müssen. Ich habe Trader die Technische Analyse in wenigen Monaten „meistern“ und sich in ein paar Wochen den Trader-Jargon
angewöhnen sehen; und sie besuchten Foren und elektronische Schwarze Bretter mit Geschwätz über leichte Gewinne und Selbstbeweihräucherung.
Aber ich habe nie Trader getroffen, die nachhaltig profitabel waren, ohne zuvor ihre Trading-Psychologie und die Gewinn-
und Verlustanalyse gemeistert zu haben.

Wenn Trader sich nicht auf einen Weg zu ernsthaftem und strukturiertem Lernen einlassen mögen, ist es unwahrscheinlich, dass sie sich eine langfristige Zukunft aus den Märkten herausschneiden können.
Die 78 Prozent der Trader, die versagen, sind dieselben, die in die vier besprochenen Verliererfallen gehen. Die anderen 22 Prozent haben ihren Blick auf die gewaltigen angebotenen Belohnungen gerichtet. Erfolg beim Traden bietet nicht nur einen traumhaften Lebensstil; er bietet
auch großen Wohlstand und finanzielle Freiheit. Und für jene, die bereit sind, Trading als ernsthaften Beruf anzunehmen und sich der Erlangung der notwendigen Fachkenntnisse zu verschreiben, ist das Ziel sowohl realistisch wie erreichbar.

William Akerman, Quantigma CEO,
begann 1987 an der Londoner Börse zu
handeln. Es folgten vier Jahre als Trader,
bevor er zur Citibank Frankfurt
wechselte. 1993 kehrte er als
selbstständiger Trader nach England
zurück. 1995 gründete er eine eigene
Brokerfirma. Akerman war im Jahr 2000
Mitbegründer der Quantigma, Hersteller
diverser systematischer Tradingtools.
www.quantigma.com
William Akerman

(c) 2005 Traders´ media GmbH, Beethoven Center, Beethovenstr. 1a, 97080 Würzburg
Homepage: www.traders-mag.com

Anzeigen